Ich hab’s geschafft. Was kein Mensch macht, weil einfach viel zu weit: Kanada von West nach Ost durchqueren. British Columbia, Alberta, Saskatchewan, Manitoba, Ontario – das meiste der Strecke in ein paar Tagen. Nach über 4.000km und zwei Dritteln des Weges bin ich nach unten in die USA abgebogen. Ich wollte an den großen Seen entlang fahren und die abwechslungsreichere Landschaft genießen. Der Tag neigte sich dem Ende und ich wollte mir direkt hinter der Grenze ein nettes Plätzchen suchen und schlafen. Gedanken zu dem Grenzübergang zurück in die Vereinigten Staaten und die paranoiden Amis habe ich mir keine gemacht – böser Fehler.

Nachdem ich anstandslos die kanadische Grenze vor dem Grenzfluss passierten und hinter der Brücke auf US-Staatsgebiet stießen, hatte der Grenzbeamte da ein paar Fragen: „Was wollen Sie in den USA?“ „Ähm… Urlaub machen, wie die letzten zwei Monate vorher auch schon!“ „Was schmuggeln Sie in Ihrem Van?“ „Ja, nix außer vielleicht einem Bett und ner Matratze und überhaupt alles was man so zum (über)leben in einem Auto braucht.“ (Böser Blick des Grenzbeamten) „Wo wollen Sie hin?“ „Michigan, Chicago, Illinois, Pennsylvania, New York, Maine… also so genau weiß ich das auch nicht, noch nicht zumindest.“ „Wie lautet Ihre Adresse in den USA?“ „Ja, wie gesagt und wie am Reisepass erkennbar – ich komme aus Deutschland…“ „Nein, welches Ihre Reiseadresse in den USA ist!!“ (noch böserer Blick)
„Ja, also das kommt darauf an wo ich parke, weil wie ebenfalls bereits thematisiert: ich lebe im Van, deshalb auch das Bett da drin …“
(Der Grenzbeamte wurde nun sauer)
„Was machen Sie beruflich?“
„Ja, nix – eigentlich… … naja, im Moment, arbeitslos sozusagen…“ (Der Beamte machte sich Notizen auf dem „Will-vielleicht-illegal-bei-uns-bleiben“-Zettel)
„Was haben Sie vorher gemacht?“
„Ich war Projektmanager bei einem deutschen Automobilhersteller!“
„Was macht denn ein Projektmanager so?“
(Mir fiel es unsagbar schwer, nicht zusagen: „Das versteht ein Grenzpfosten wie Du sowieso nicht“)
„Och, der macht so Beratung und Prozesse und Management und so halt!“
„Aha!“ (Der Blick bewies mir, dass der Wachdackel tatsächlich keinen blassen Dunst hatte)
„Wurden Sie schon mal in Arrest gesteckt?“
„Naja, von dem einen Mal abgesehen, als ich achteinhalb war und mit dem Fußball die Scheibe eingeschossen habe und meine Mama mich im Kinderzimmer eingeschlossen wurde – NEIN!“
Sie wurden niemals verhaftet?“ (Jan fragte sich, ob man in den USA wohl auch ohne Verhaftung eingelocht werden konnte)
„Nee, immer noch nicht“
„Nehmen Sie Drogen?“
„Keine – außer Bier und Wein“
„Das sind keine Drogen!“
„Bei uns schon!“
„Na gut! Haben Sie Sachen im Van, die man nicht in die USA einführen darf?“
„Puh, hmmm … was darf man denn alles nicht einführen?“
Der Grenzbeamte reichte uns einen voll beschriebenen DIN A-4 Zettel, ich begann zu lesen.
„Hmmm… streng genommen habe ich Trauben dabei, und hier steht, dass man kein Obst einführen darf“
„Aha!“ mit einem „Hab-ich-Dir-doch-dran-gekriegt“-Grinsen holte die Marionette umständlich ein Walkie-Talkie raus und rief zwei menschgewordene Spürhunde herbei, die mich filzen sollten. Die Jungs waren zwar wesentlich netter, aber die Sinnlos-Fragerunde ging trotzdem weiter:
„Haben Sie Waffen dabei?“
„Selbstverständlich nicht!“ – „Halt, doch, ich hab ein Taschenmesser in der Hosentasche!“ sagte ich und wollte das Messer kurz rausholen.
„HALT!!“ brüllt der sich in Todesgefahr wähnende Grenzbeamte und ich erstarrte. Etwas beruhigt erklärt die Spürnase, dass das Messer natürlich erst am Filztisch und unter Aufsicht zweier Beamter rausgeholt werden darf. „Natürlich!“ sagt ich und nickte verständnisvoll.
„Und was ist das hier?“ triumphierend hielt Spürnase 2 eine Spraydose hoch.
„Ein Bärenspray und keine Waffe!“.
„Nein, das ist eine Waffe!“
(Ich verdrehte unmerklich die Augen) „Von mir aus ist es eine Waffe, aber erstens sind sie kein Bär, zweitens habe ich eins bereits verloren und drittens kostet das Zeug satte 40 Dollar, also Waffe hin oder her, ich behalte das Bärenspray, klar?“ (Die Spürnasen nickten nun auch mal eingeschüchtert)
„Also um es kurz zu machen: Werde ich in Ihrem Van irgendetwas finden, was Sie ins Gefängnis bringt?“
„Nein!“ (Der Beamte geht trotzdem gucken – warum hat er denn bloß gefragt?)
Nach längerer Inspektion von Wagen, Bett, Kühltruhe usw… kommen die Jungs mit den gerade gekauften Kartoffeln, einer Zwiebel und Trauben zurück und schmeißen sie demonstrativ vor mir in den Mülleimer.
„So, das hier, er deutet auf den Mülleimer in dem unser Essen gerade verschwunden ist, können Sie nicht einführen (will ich jetzt sowieso nicht mehr) und Ihr Brennholz müssen Sie in Kanada lassen, dann können Sie einreisen.“
„Moment, ich bin doch schon in den USA, Kanada liegt auf der anderen Seite des Flusses!“
„JA, und deswegen fahren Sie jetzt auch wieder nach Kanada zurück!“
„Ehrlich?“
„Ehrlich!“
Es war fast 10 Uhr abends, ich war müde und hatte alles andere als Lust, wieder über die Brücke zurück nach Kanada und dann: wohin mit dem ganzen Holz? Ich hatte schließlich den halben kanadischen Nadelwald ins Auto verladen um sicher zu sein, immer genügend Brennholz dabei zu haben.
Warum hatten die Beamten außerdem mein Futtervorrat in die Tonne geworfen, wenn ich eh nach Kanada zurück fahren musste?
Genervt und verärgert fuhr ich zurück. Die Rückreise nach Kanada gestaltete sich ungleich einfacher. Der Grenzbeamte hatte sogar nach kurzer Überlegung eine Idee, wo ich das Brennholz loswerden könnte. Die Stelle fand ich nur nicht. Ich lud kurzerhand das Brennholz auf einem Parkplatz ab und fuhr wieder zurück. Obwohl ich natürlich den gleichen US-Grenzschalter ansteuerte, saß dort ein anderer Gorilla und stellte dieselben bekloppten Fragen, wie der erste. Vergeblich versuchte ich ihm klar zu machen, dass vor einer guten Stunde sein Kollege mich bereits gelöchert hatte. Immerhin hatte ich diesmal kein gefährliches kanadisches Brennholz mit terroristischen Al-Kaida-Borkenkäfern in der Rinde dabei und konnten daher einreisen. Es war inzwischen halb elf – was ein Akt!